Gleichheit im Spiel: Der Kampf um Diversität im eSports

13.05.2024

Dieses Interview mit Artemis ist mehr als nur eine persönliche Erzählung über ihren Aufstieg und ihre Präsenz in der eSports-Welt. Es ist ein tiefer Einblick in die laufenden Diskussionen über Gleichberechtigung, Chancengleichheit und die Kultur des eSports. Ihre Geschichten und Ansichten sind ein Muss für alle, die verstehen wollen, was es bedeutet, als Frau in einer von Männern dominierten Arena zu navigieren. Sie zeigen auch, wie wichtig es ist, sich für Diversität und Inklusion einzusetzen.

Wir sehen Artemis' Weg von ihren ersten Schritten als Casterin bis hin zu ihrer heutigen Rolle, in der sie anderen Frauen Wege ebnet und als Mentorin und Vorbild fungiert. Dabei betrachten wir die Herausforderungen, denen sie sich als Frau in diesem Bereich stellen muss. Ihre Antworten spiegeln nicht nur ihre persönlichen Erfahrungen wider, sondern auch ihre Hoffnungen und Visionen für die Zukunft des eSports. Eine Zukunft, die sie gerechter, inklusiver und respektvoller gestalten möchte.

In den folgenden Abschnitten spricht Artemis offen über die Freuden und Kämpfe ihrer Karriere, über die Unterstützung, die sie erlebt hat, und über die Hindernisse, die sie überwinden musste. Ihre Erzählungen beweisen, dass der Weg zur Gleichberechtigung und Anerkennung im eSports noch lang ist, aber mit Entschlossenheit und Unterstützung schrittweise erreicht werden kann.

Dieses Interview soll informieren, inspirieren und motivieren. Es ist ein Aufruf an alle, die Teil der eSports-Gemeinschaft sind, sich aktiv für eine Kultur einzusetzen, die Vielfalt fördert und jeden Spieler, jede Spielerin, jeden Fan und jede Fachkraft unabhängig von Geschlecht oder Hintergrund willkommen heißt. Wir müssen die Geschichte von Artemis lesen, reflektieren und daraus lernen, um die Welt des eSports für alle besser zu gestalten.


Artemis, kannst du uns etwas über deinen Werdegang erzählen und was dich ursprünglich dazu bewogen hat, im eSports-Bereich, speziell als Casterin, tätig zu werden?

Ich habe 2017/2018 mit Heroes of the Storm angefangen und bin dann 2019 zu League of Legends gewechselt, als man den Support für das Spiel eingestellt hat. Ich habe dort dann auch recht schnell in einem meiner ersten Teams Prime League gespielt. 2020 ergab sich dann die Möglichkeit, mit einem Kollegen for fun ein Team seiner Freunde zu "casten". Das lief grotten schlecht, weil ich ihn damals immer unterbrochen habe, aber es hat Spaß gemacht. Ich habe durchgehalten und bin nach einer kleinen Pause bei Intsport eingestiegen. Von da aus ging es dann 2022 zu AceGaming. Ich bin also durch Zufall reingerutscht.

Welche spezifischen Herausforderungen bist du als Frau im eSports begegnet und wie hast du diese überwunden?

Ich muss ganz offen und ehrlich sagen, dass ich im Vergleich zu manch anderen erstaunlich wenige Herausforderungen hatte. Die Communities waren immer sehr unterstützend. Den größten Teil an "Gegenwind" gab es von außen oder von irgendwelchen anonymen Internet-Rambos. Es gab auch mal einen, der mich über Monate hinweg regelmäßig mit neuen Accounts auf Twitch und in öffentlichen Discord-Servern verfolgt hat. Er hat anzügliche Sachen gesagt, immer wieder ins Mikro gestöhnt usw. Für ihn war das wohl peinlicher als für mich. Man muss über so etwas einfach drüber stehen. Ich reg mich doch nicht über so jemanden auf. Solche Leute kriegen eine Anzeige und werden blockiert.

Was denkst du, sind die größten Hindernisse für Frauen im eSports heute, und welche Schritte sollten unternommen werden, um diese zu überwinden?

Ich bin überzeugt, dass in Vereins- oder gefestigten Organisationsstrukturen auf Amateurebene Gleichbehandlung bereits gelebt wird. Die wenigen Negativbeispiele der letzten Monate bestätigen meine Einschätzung. Wenn man sich aber mal die unorganisierten eSportler, also die breite Masse an "Casual"-Spielern, anschaut, fällt mir immer wieder auf, dass hier Begriffe wie "Egirl" oder "Kitten" usw. einfach in den Raum geworfen werden, ohne großartig darüber nachzudenken. Und das von allen Geschlechtern gleichermaßen. Die breite Masse wird man nur erreichen, wenn Spieler*innen gleichermaßen im Profi- und semi professionellen Bereich vertreten sind. Dazu gehören LEC, Prime League Div 1-3 und EU Masters. Female Teams sind zwar ein guter Ansatz, aber ich finde, gemischte Teams sollten auch von bekannten Orgas vorgelebt werden. Spieler*innen sollten einfach nachkommen können und nicht nur als Aushängeschild präsentiert werden. Denn dann bedient man für die uninformierte Casual-Spieler-Szene wieder Klischees und das ist auch den Spielerinnen gegenüber unfair. Diese sehen sich dann Kommentaren gegenüber, sie wären nur dabei, weil sie "weiblich" sind. Ligen müssen dazu verpflichtet werden, zu überprüfen, ob Orgas, die unter ihnen spielen, sich an die Grundsätze der Gleichberechtigung halten. Sie müssen einen sicheren Raum schaffen, indem sie Leute, die sich frauenfeindlich äußern oder verhalten, rigoros ausschließen. Sie dürfen diese nicht aufgrund ihrer Reichweite einfach gewähren lassen.

Gibt es Frauen in der eSports-Branche, die dich besonders inspiriert haben? Wenn ja, wer sind sie und warum?

Es gibt nur zwei, weil auf großer Bühne nur wenige Frauen vertreten sind. Von diesen wenigen Vorbildern möchte ich Scarlett (erste Spielerin, die in Starcraft 2 ein großes Turnier gewonnen hat) und Sjokz nennen. Für mich waren die beiden aber immer genau so ein Vorbild wie andere Caster/Streamer wie z. B. Maxim oder EisOhneWaffel (mit dem ich ja die LCK mache, haha). Ich bin ehrlich: Da wurde ein Riesen-Traum für mich wahr. Ich finde es einfach mega, was diese Leute geleistet haben, und habe größten Respekt vor ihnen. Sie gehen mit unglaublicher Hingabe an ihre Arbeit und Projekte heran.

Wie gehst du mit Diskriminierung am Arbeitsplatz um, und welche Maßnahmen empfiehlst du anderen Frauen, die ähnliche Situationen erleben?

Ich bin längst darüber hinaus, dass mich das noch aufregt oder mich persönlich belastet. Wenn jemand meint, ein absolutes Arschloch sein zu müssen und zu diskriminieren, dann bekommt er von mir ganz klares Kontra. Und zwar ohne dass ich selber beleidigend werde. Die meisten sind sich oft nicht bewusst, dass Aussagen, die sie treffen, diskriminierend sein können. Die wenigen, die es absichtlich machen, sind meist still, wenn sie merken, dass sie damit nicht weit kommen. Meine Empfehlung ist also folgende: Sei respektvoll, aber laut. Wenn es nach der ersten Warnung nicht aufhört, ziehe ich Konsequenzen. Blockiere, melde es der Ligaleitung, deinem Vorgesetzten und wenn es zu heftig wird, auch der Polizei. Oder wende dich an Organisationen wie "Hate Aid", wenn es um Hass im Netz geht. Ich rate euch, die Worte von solchen Menschen, die beleidigen und diskriminieren, niemals persönlich zu nehmen. Bewahrt einen kühlen Kopf und lasst das Thema nicht euren Alltag bestimmen. Denn genau das ist ihr Ziel.

Wie beurteilst du die Entwicklung und die Bedeutung der Prime League für den europäischen eSports, besonders im Vergleich zu anderen Ligen?

Die Prime League ist ein Konzept, das den Sprung von lokalen und Hobby-eSport in die Profi-Szene erheblich erleichtert. Ligen wie die Prime League haben neben ihrem sportlichen und unterhaltung technischen Auftrag auch die Pflicht, Weiterbildungs- und Förderprogramme anzubieten. Sie müssen ihre Moderation und Staff-Teams schulen, um angemessen mit Vorfällen von Diskriminierung umzugehen. Sie sind maßgeblich dafür verantwortlich, dass eSports in Deutschland nachhaltig etabliert wurde und nun auch in der Politik mehr Anerkennung und Förderung erfährt. Ich habe das Gefühl, dass in diese Richtung viel zu wenig passiert. Sport und eSport sind schon lange nicht mehr unpolitisch. Sie brauchen politische Unterstützung, um existieren zu können. Daher muss es auch ein Ziel der Liga sein, Orgas bestmöglich zu fördern, damit sie sich weiterentwickeln können. Die Prime League ist schon lange kein einfaches For-fun-Turnier mehr für alle, die in Div 3-4 spielen. Doch momentan werden sie behandelt wie ein Team aus der Div 7. Das muss sich ändern! Es muss eine klare und transparente Staffelung geben.

Welche spezifischen Maßnahmen oder Initiativen würdest du empfehlen, um die Beteiligung und Sichtbarkeit von Frauen in der Prime League zu erhöhen?

Wir müssen zuerst das Mindset ändern, vor allem das der Teams/Orgas. Sayna war die erste weibliche Spielerin überhaupt bei den Unicorns, allerdings nur als Ersatz. Es gibt viele Spielerinnen, die eigentlich auch hinkommen sollten, aber Angst haben, sich zu bewerben. Die Female Teams sind ein guter Ansatz, aber sie dürfen nicht zum Abstellgleis werden. Ich wünsche mir von der PL dass sie in Zusammenarbeit mit Div 1-2 Orgas und der EPF , die Nachwuchstalente und Spielerinnen aus Div 3-5 scouten, und in einem eigenen Programm fördern um neuen Nachwuchs zu gewährleisten und kleine Orgas zu entlasten. Dies würde den eSports nachhaltiger gestalten.

Wie stellst du dir die ideale Zukunft für Frauen im eSports vor? Gibt es bestimmte Veränderungen oder Entwicklungen, die du besonders wichtig findest?

Die ideale Zukunft sieht so aus: Es ist absolut egal, wer wo spielt, jeder hat die gleichen Chancen und vor allem werden Female- oder diverse Teams nicht mehr als "Aushängeschild" zweckentfremdet, sondern als Spieler*innen akzeptiert. Es kann sich nicht von heute auf morgen alles ändern, aber wir können im Kleinen anfangen. Die einfache Frage: "Sollte ich diesen Satz jetzt wirklich sagen oder ist er beleidigend?" kann viel bewirken. Wir sollten immer über die Konsequenzen nachdenken, die unsere Worte und Taten bei unserem Gegenüber auslösen könnten. Dazu gehört auch, Streamer und Spieler zu boykottieren, die sich in ihren Streams immer wieder kontrovers darstellen. Wir sollten ihnen keine weitere Plattform bieten, indem wir "nichts" tun.

Inwiefern glaubst du, dass deine Rolle als Casterin dazu beiträgt, das Bild von Frauen im eSports zu verändern?

Ich bin mir sicher, dass es irgendwo eine Person gibt, die mich in einem Cast sieht und sich denkt: "Oh, das ist cool, das will ich auch mal probieren." Auf der anderen Seite biete ich ja auch Kurse an, in denen ich Neulingen das Casten näher bringen möchte. In einer meiner ersten Unterrichtseinheiten gibt es da auch immer einen großen Block zum Thema "Respekt und Auftreten on Stream", um bei Newcomern direkt diese unterbewusst beleidigenden Äußerungen wegzubekommen. Viele bemerken es in ihrer Alltagssprache sonst einfach gar nicht.

Welche aktuellen Trends oder Entwicklungen im eSports findest du besonders spannend oder bedenklich, und warum?

Es ist inakzeptabel, dass die Förderung für große eSport-Teams international zunimmt, während der politische Support auf lokaler Ebene fehlt. Man verlässt sich auf Freizeit- und Ehrenamt Organisationen, die den Nachwuchs für die kommenden Jahre irgendwie herbeiführen sollen. Es hat sich einiges getan, aber eine Orga zu finanzieren ist teuer wie nie. Wir brauchen dringend die Anerkennung von Seiten der Politik, denn sonst droht das Ganze in sich zusammenzubrechen.

Die zweite besorgniserregende Entwicklung ist, dass immer mehr Kinder und Jugendliche kontroversen Streamern und sich dabei von veralteten Weltbildern beeinflussen lassen. Sie schließen sich diesen Personen auf Events beinahe kult artig an. Plattformen wie Twitch müssen da härter durchgreifen.

Es gibt aber auch positive Entwicklungen. Der E-Sport wird immer mehr in Vereine integriert. Dadurch können Jugendliche bereits früh in ein sicheres Gaming-Umfeld gebracht werden. So laufen sie gar nicht erst Gefahr, in ein toxisches Umfeld zu gelangen. Es ist großartig, dass der Diskurs zu dem Thema Gleichberechtigung im Esport immer weiter zunimmt. Spieler*innen, die nicht dem "male white"-Schema entsprechen, trauen sich immer mehr, sich offen zu präsentieren! Ich erwarte, dass sich das in Zukunft noch stärker durchsetzt.


Nachwort des Autors


Das Interview mit Artemis öffnet nicht nur ein Fenster zu ihrer persönlichen Reise und den Herausforderungen als Frau in der Welt des eSports, sondern es lädt auch zu einer tieferen Reflexion über die strukturellen Dynamiken dieser schnell wachsenden Branche ein. Während Artemis' Erfahrungen zeigen, wie individuelle Entschlossenheit und Gemeinschaft Unterstützung eine erfolgreiche Karriere im eSports ermöglichen können, verdeutlichen sie zugleich die Notwendigkeit, grundlegende institutionelle und kulturelle Hindernisse zu adressieren, die nach wie vor bestehen.

Der Aufstieg des eSports hat eine Vielzahl von Chancen für Spieler, Caster und andere Beteiligte geschaffen, aber diese Chancen sind nicht gleich verteilt. Die strukturellen Ungleichheiten innerhalb des eSports – von geschlechtsspezifischen Diskrepanzen bis hin zu wirtschaftlichen Barrieren – bleiben ein kritischer Diskussionspunkt, der oft von den schillernden Erfolgsstories überdeckt wird. Es ist unerlässlich, dass wir diese Ungleichheiten nicht nur anerkennen, sondern aktiv angehen.

Artemis' Erfahrungen werfen ein Schlaglicht auf die spezifischen Herausforderungen, denen Frauen in einer von Männern dominierten Branche gegenüberstehen. Ihre Geschichte ist ermutigend, doch sie illustriert auch, dass der Weg zur Gleichstellung im eSports mit Hindernissen gepflastert ist, die systemischer Natur sind. Diskriminierung, geschlechtsbasierte Stereotype und eine Kultur, die Frauen oft marginalisiert, sind Realitäten, die eine kritische Überprüfung und proaktive Maßnahmen erfordern.

Besonders problematisch ist die Rolle einiger zentraler Institutionen, die den Rahmen des eSports gestalten. Während Organisationen wie Dachverbände und professionelle Ligen eine Schlüsselrolle in der Förderung und Regulierung des eSports spielen, ist ihre Effektivität in Bezug auf die Förderung von Gleichheit und Diversität oft fragwürdig. Diese Verbände sammeln oft erhebliche Mitgliedsbeiträge, bieten aber im Gegenzug nicht immer die Unterstützung oder Ressourcen, die ihre Mitglieder benötigen, um sich in einem Konkurrenz zu entwickeln und sich schnell entwickelnden Markt zu behaupten. Diese Praxis kann dazu führen, dass nur diejenigen, die es sich leisten können, die erforderlichen Beiträge zu zahlen, am Wachstum und den Möglichkeiten des eSports teilhaben, was die wirtschaftliche Schranke für den Einstieg erhöht und die Kluft zwischen den etablierten und den aufstrebenden Akteuren vertieft.

Die Notwendigkeit, die Verbände zur Rechenschaft zu ziehen, ist klar. Sie müssen transparenter in ihrer Finanzierung und ihren Ausgaben sein und sicherstellen, dass die eingenommenen Mittel tatsächlich zur Verbesserung der Branche und zur Unterstützung ihrer Mitglieder verwendet werden. Es ist nicht akzeptabel, dass Verbände hohe Gebühren verlangen, ohne deutliche und messbare Verbesserungen in den Bereichen Vielfalt, Inklusion und Unterstützung ihrer Basis zu liefern.

In diesem Kontext ist es entscheidend, dass die Gemeinschaft des eSports – von den Spielern und Teams bis hin zu den Fans und Medien – eine aktive Rolle bei der Gestaltung einer inklusiveren Zukunft spielt. Dies erfordert eine fortwährende Selbstreflexion und das Hinterfragen von etablierten Normen und Praktiken. Es ist nicht ausreichend, Diskriminierung passiv abzulehnen; es bedarf einer aktiven und engagierten Anstrengung, um die Kultur des eSports zu transformieren.

Letztendlich bietet das Interview mit Artemis nicht nur Einblick in ihre inspirierende Karriere, sondern auch auf die strukturellen Veränderungen, die notwendig sind, um den eSports gerechter und zugänglicher zu machen. Die Zukunft des eSports sollte eine sein, in der jeder – unabhängig von Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit oder wirtschaftlichem Hintergrund – die gleichen Chancen auf Erfolg und Anerkennung hat. Der Weg dorthin ist lang und voller Herausforderungen, aber die Geschichten von Menschen wie Artemis zeigen, dass Veränderung möglich ist und dass der Kampf für Gerechtigkeit und Gleichheit in jedem Bereich unseres Lebens, einschließlich des eSports, fortgesetzt werden muss.





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